Carlos Gesualdo  -  Sacrae Cantiones

Don Carlo Gesualdo, Principe di Venosa

Sacrae Cantiones  für sechs bis sieben Stimmen

zweites Buch

Die fehlenden Stimmen, Sextus und Bassus, wurden im Jahre 2003, 400 Jahre nach dem Erstdruck 1603, komponiert von Johannes Hömberg

 

1   Virgo benedicta

2a   Da pacem Domine   I

2b   da pacem Domine…II

3   Sana me Domine

4   Ave sanctissima Maria

5   O Oriens, splendor lucis aeternae

6   Discedite a me omnes

7   Gaudeamus omnes

8   Veni Creator Spiritus

9   O sacrum convivium

10   Adoramus te Christe

11   Veni sponsa Christi

12   Assumpta est Maria

13   Verba mea quiribus percipe

14   Ardens est cor meum

15   Ne delerinquas me

16   O Beata Mater

17   Ad te levavi animam meam

18   Franciscus humilis et pauper

19   O anima sanctissima

20    Illumina nos   I

20a  Illumina nos   II

 

Bemerkungen zur Ergänzung der zwanzig Sacrae Cantiones (2. und 6. Stimme)

von Carlo Gesualdos

Die 20 Sacrae Cantiones zu 6 und 7 Stimmen von 1603 sind ohne Sextus und Bassus ein nicht für Aufführungen geeigneter Torso. Will man die Motetten durch Neukomposition der 2. und 6. Stimme unseren Kammerchören und Solistenensembles zugänglich machen, muss man sich über das Ziel im Klaren sein: Will man eine "Verschmelzung zweier Komponisten" (Robert Craft über die drei Strawinskyschen Bearbeitungen von 1957/59), oder will man die fehlenden Stimmen dergestalt einfügen, dass sie allenfalls dem genauestens mit Gesualdos Stil vertrauten als nicht von ihm selbst stammend erkennbar würden.

Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Eine Stilanalyse der 20 Sacrae Cantiones ergibt folgende Bearbeitungskriterien: Sämtliche Motetten sind im "stile antico" geschrieben: strenge imitatorische Satztechnik, die oft die Kirchentonarten beibehält, stilistisch weit hinter Palestrina zurückweist und eher an Gombert, Clemens non Papa oder gar Josquin gemahnt. Die Innenstimmen sind oft eigenartig starr und weisen viele Stimmkreuzungen auf. Die wichtigsten Regeln werden durchweg eingehalten und nur in Ausnahmefällen durchbrochen: keine Oktav- und Quintparallelen (Antiparallelen hingegen gibt es reichlich). Dissonanzen werden meistens vorbereitet. Jeder Textabschnitt bekommt sein eigenes Motiv, wobei oft bis zu drei Motive gleichzeitig bearbeitet werden. Auf diese Weise entsteht, anders als bei Palestrina und Lasso und offenbar völlig unbeeindruckt von den Textverständlichkeits-Forderungen des Tridentinums, ein dauerndes Sich-Überlagern der Text- und Motivschichten.

Dem "stile antico" entgegen stehen, wenn auch durch de Rore, de Wert, Marenzio und Monteverdi in deren Madrigalen vorweggenommen, die typischen "Gesualdo-Stellen", wie sie besonders aus dem 5. und 6. Madrigalbuch, aber auch aus den Responsorien von 1611 bekannt sind: Rasche, meist querständige Harmoniewechsel, harte Dissonanzen, manchmal regelwidrig oder gar nicht aufgelöst. Diese Partien sind im übrigen am leichtesten zu rekonstruieren.

Es war mein Bestreben, alle in den vier erhaltenen Stimmen vorkommenden Motive auch in die zu ergänzenden Stimmen zu integrieren. Den Sextus habe ich dabei durchweg als den Cantus übersteigende Oberstimme behandelt: Der Satz wird dadurch aufgehellt, ohne die Massierung im Männerstimmen-Bereich, die ohnehin für heutige Kammerchöre problematisch erscheint, anzutasten. Die 3. Stimme (Altus) ist, obwohl im oktavierenden Violinschlüssel geschrieben, in der Regel noch von weiblichen Altstimmen ausführbar.

Auf einige wenige Druckfehler der Vorlage wurde an Ort und Stelle hingewiesen. Einer besonderen Erwähnung bedürfen noch die Nr. 2 "Da pacem" und die Nr. 20 "Illumina nos". Bei "Da pacem" habe ich wegen der extrem tiefen Lage der Originaltonart noch eine um eine Quart nach oben transponierte Fassung beigegeben; bei "Illumina nos" habe ich in einer zweiten Fassung die vier Bassschlüssel in zwei oktavierende Violinschlüssel für den Tenor und zwei Bassschlüssel abgeändert und eine die wirklichen Höhenlagen berücksichtigende Anordnung von oben nach unten vorgenommen.

Allen Motetten wurden Stimmumfangs-Hinweise, Sicherheitsvorzeichen, Taktzahlen und Buchstaben beigegeben, um eine rasche und effektive Probenarbeit zu ermöglichen.

Eine intensive Beschäftigung mit den 20, nunmehr aufführbaren Motetten wäre für Kammerchöre und Vokalensembles sicher ein Gewinn.

 

Bergisch Gladbach, 2003,

im 400. Jahre nach dem Erscheinen der "Sacrae Cantiones".

 

Johannes Hömberg